February 4, 2025

Barrierefreie Bewerbungsprozesse – So erreichen Sie ein breiteres Feld von Talenten

CareerTeam
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Wir Unternehmen haben es aktuell wahrlich nicht einfach. Neben alten Beschwerden wie dem Fachkräftemangel, teurer Energie und strengen ESG-Richtlinien ist jetzt in den USA ein Präsident angetreten, von dem 95 % der deutschen Unternehmen negative Auswirkungen erwarten – praktisch niemand in Deutschland hat Bock auf Donald, geschweige seiner 20 % Importsteuer. Ein absoluter Wahnsinn – für Deutschland und den Rest der Welt. Und jetzt noch ein Gesetz zur Stärkung der Barrierefreiheit für Unternehmen?

Tatsächlich ist das ein Lichtblick – nicht nur für die 10,4 Millionen Menschen mit Behinderungen in Deutschland. Richtig, wir sprechen hier von jedem Achten. Allerdings müssen wir dazu auch sagen, das Gesetz gilt nicht für alle Unternehmen, sondern für Unternehmen der deutschen Privatwirtschaft, die digitale Produkte und Dienstleistungen anbieten – und zwar sprechen wir von Produkten und Dienstleistungen wie Computer, Mobiltelefone, Selbstbedienungsterminals, Bankdienstleistungen, Onlineshops und Apps. Ist die Karriereseite Teil der Unternehmenswebseite, die die zuvor genannten Produkte oder Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr anbietet, dann greift das Gesetz. Wir sprechen hier primär von Banken/Bankdienstleistungen, Telekommunikationsdiensten, Online-Shops und Verkehrsunternehmen. Eine Ausnahme bilden dabei Kleinstunternehmen, die weniger als zehn Mitarbeitende beschäftigen oder einen Jahresumsatz von unter zwei Millionen Euro erzielen. Gleichzeitig ist es ziemlich unvorteilhaft, wenn Sie nicht umgehend mit barrierefreiem Recruiting starten – unabhängig davon, was Ihr Unternehmen macht. 

Accenture belegt es: Inklusive Unternehmen sind 25 % produktiver und erzielen 2,6-mal höhere Gewinne. Dieser Beitrag ist ein Plädoyer für inklusives Recruiting und rüstet Sie mit dem nötigen Wissen hierfür aus.

(Abb. 1: Finanzielle Leistung und Inklusion von Menschen mit Behinderung 2023, Accenture)

Warum inklusive Unternehmen erfolgreicher sind

Die beeindruckenden Zahlen, die Accenture in ihrer Studie „Getting to Equal: The Disability Inclusion Advantage“ präsentiert, sind kein Zufall. Unternehmen, die Barrierefreiheit und Inklusion aktiv in ihre Strategien integrieren, profitieren in vielfacher Hinsicht – doch was steckt hinter diesen Erfolgen?

Ein breiteres Talentfeld 

Wenn Sie Ihre Bewerbungsprozesse barrierefrei gestalten, öffnen Sie Ihre Türen für ein enormes Potenzial an talentierten Fachkräften. Menschen mit Behinderungen bringen häufig eine außergewöhnliche Problemlösungskompetenz, hohe Resilienz und Kreativität mit – Fähigkeiten, die in einer komplexen Geschäftswelt Gold wert sind. Wie gesagt, in Deutschland gibt es 10,4 Millionen Menschen mit Behinderungen.

Innovation durch Diversität fördern

Diverse Teams sind nachweislich innovativer, wie wir bereits in einem unserer vorherigen Artikel beschrieben haben. Unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen führen zu kreativeren Lösungen und stärken die Anpassungsfähigkeit von Unternehmen. Laut Deloitte sind Unternehmen mit vielfältigen Teams um 30 % innovativer. Durch die Einbindung von Menschen mit Behinderungen erhalten Organisationen neue Blickwinkel in Produkte, Dienstleistungen und Prozesse.

Bessere Kundenbindung durch Authentizität

Der Markt erwartet heute mehr als nur gute Produkte – er verlangt authentische Marken, die Werte wie Inklusion und soziale Verantwortung leben. 84 % der Verbraucher:innen in den USA haben eine positivere Wahrnehmung von Unternehmen, die Inklusion fördern, und 80 % bevorzugen den Kauf bei diesen Marken. In Deutschland wird sich dieser Trend mit zunehmendem Fokus auf ESG-Kriterien verstärken.

Produktivität und Loyalität 

Inklusive Unternehmen schaffen eine Arbeitsumgebung, in der sich alle Mitarbeitende sicher und wertgeschätzt fühlen – nicht nur Menschen mit Behinderung. Aber die sind umso loyaler, und nicht selten möchten diese Menschen sich selbst etwas beweisen. Das erhöht die Produktivität (im Schnitt um 25 %) und führt zu einer höheren Employee Retention. Accenture zeigt auf, dass Unternehmen mit einer inklusiven Kultur um 30 % weniger Fluktuation haben. Das spart nicht nur Kosten im Recruiting. Und trägt langfristig zu einer stärkeren Unternehmenskultur bei.

Kosten sparen durch barrierefreie Digitalisierung

Barrierefreie Technologien sind nicht nur notwendig für Menschen mit Behinderungen – sie verbessern oft die Nutzerfreundlichkeit für alle. Unternehmen, die ihre digitalen Angebote frühzeitig barrierefrei gestalten, vermeiden Nachbesserungskosten und reduzieren rechtliche Risiken – die mit hoher Wahrscheinlichkeit in Zukunft kommen werden. Langfristig führt dies zu effizienteren Prozessen und einer höheren Kundenzufriedenheit.

Ein Zeichen setzen: Inklusion als Wettbewerbsvorteil

Da weiterhin der Fachkräftemangel spürbar ist, wird ein inklusives Recruiting zum strategischen Vorteil. Unternehmen, die Barrierefreiheit priorisieren, positionieren sich als progressive, zukunftsorientierte Arbeitgeber und gewinnen dadurch nicht nur Talente, sondern auch Sympathien. Besonders die der jüngeren Generation Z, die verstärkt auf solche Dinge achtet.

Wie Sie Ihre Karriereseite für barrierefreies Recruiting gestalten

Barrierefreiheit fängt auf ihrer Karriereseite an. Sie sind das Aushängeschild eines inklusiven Unternehmens und senden auch ein klares Signal: Hier ist jeder willkommen. Doch wie setzen Sie dies konkret um? Hier sind die wichtigsten Aspekte:

Technische Barrierefreiheit sicherstellen

WCAG-Standards umsetzen

Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) bieten klare Richtlinien, wie Webseiten barrierefrei gestaltet werden können. Wichtige Punkte:

  • Alternativtexte für Bilder: Stellen Sie sicher, dass alle Bilder mit Alternativtexten (Alt-Text) versehen sind, damit Screenreader diese interpretieren können.
  • Tastatur-Navigation: Alle Funktionen sollten auch ohne Maus nutzbar sein.
  • Kontraste optimieren: Ein ausreichender Farbkontrast (mindestens 4,5:1) erleichtert die Lesbarkeit für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen.
  • Untertitel und Transkripte: Für eingebettete Videos und Audioinhalte sollten Untertitel oder vollständige Transkripte bereitgestellt werden.

Kompatibilität mit Screenreadern

Testen Sie Ihre Seite mit gängigen Screenreader-Programmen (z. B. NVDA oder JAWS), um sicherzustellen, dass Inhalte korrekt vorgelesen werden können. Hier ist ein Tool, mit dem Sie testen können.

Inhalte klar und verständlich präsentieren

Einfache Sprache verwenden

Vermeiden Sie komplizierte Fachbegriffe und lange Schachtelsätze. Klare und prägnante Sprache hilft allen Nutzer:innen, Informationen schneller zu erfassen.

Leichte Sprache anbieten

Ergänzen Sie Ihre Seite mit Inhalten in Leichter Sprache, um Menschen mit kognitiven Einschränkungen anzusprechen.

Visuelle Klarheit schaffen

Eine aufgeräumte, übersichtliche Struktur mit klaren Abschnitten, ausreichend Weißraum und großen Schaltflächen verbessern die Nutzererfahrung erheblich.

Barrierefreie Bewerbungsformulare

Anpassbare Formulare

  • Stellen Sie sicher, dass Formulare leicht ausfüllbar sind, auch mit assistiven Technologien.
  • Nutzen Sie Labels, die klar angeben, welche Informationen gefordert sind, und vermeiden Sie komplexe Eingabeanforderungen.

Fehlermeldungen klar formulieren

Geben Sie präzise Hinweise, wenn ein Formularfeld falsch ausgefüllt wurde, und bieten Sie direkte Korrekturhilfen.

Mehrere Kontaktmöglichkeiten:

Nicht alle Menschen können Online-Formulare problemlos nutzen. Ergänzen Sie alternative Bewerbungsmöglichkeiten wie E-Mail oder telefonische Bewerbung.

Informationen zur Barrierefreiheit und Anpassungen bereitstellen

Anpassungen im Bewerbungsprozess anbieten

Kommunizieren Sie deutlich, dass Bewerber:innen Anpassungen anfordern können, z. B. längere Bearbeitungszeiten oder alternative Interviewformate. Ein gut sichtbarer Hinweis wie „Barrierefreie Optionen verfügbar – kontaktieren Sie uns gerne!“ zeigt Ihre Offenheit.

Zentrale Kontaktperson

Bieten Sie eine direkte Kontaktmöglichkeit zu einer Ansprechperson an, die für Fragen zur Barrierefreiheit geschult ist.

Checkliste barrierefreie Karriereseite 

Nun gut, diese Anforderungen können das ein oder andere Unternehmen erschlagen. Deswegen haben wir eine Checkliste zusammengestellt, die das Ganze kompakter darstellt. Zusätzlich haben wir diese um die Punkte Feedback und Employer Branding ergänzt und listen anschließend nützliche Tools für die Umsetzung auf.

Technische Anforderungen

WCAG 2.1-Standards einhalten: Sicherstellen, dass alle Inhalte für assistive Technologien zugänglich sind.

Alternativtexte: Bilder und Grafiken mit präzisen Alt-Tags versehen.

Kontraste überprüfen: Tools wie Contrast Checker nutzen, um lesbare Farbkontraste sicherzustellen.

Tastatursteuerung testen: Alle Funktionen sollten ohne Maus bedienbar sein.

Multimedia-Inhalte barrierefrei gestalten: Videos mit Untertiteln und Audiodeskriptionen versehen.

Inhalte und Struktur

Einfache Sprache: Komplexe Begriffe vermeiden, kurze und prägnante Sätze formulieren.

Leichte Sprache: Eine zusätzliche Option für Nutzer*innen anbieten, z. B. in einem separaten Abschnitt.

Klarer Aufbau: Inhalte übersichtlich gliedern, mit aussagekräftigen Überschriften und genügend Weißraum.

Flexible Bewerbungsformate: Bewerbung per E-Mail, Telefon oder klassisch postalisch ermöglichen.

Formulare und Prozesse

Barrierefreie Formulare: Labels und Anleitungen klar kennzeichnen, keine überflüssigen Pflichtfelder.

Fehlermeldungen klar formulieren: Konkrete Hinweise zur Korrektur geben, z. B.: „Bitte geben Sie eine gültige E-Mail-Adresse ein.“

Hilfsangebote klar platzieren: Ein sichtbarer Hinweis, wie Bewerber:innen Anpassungen anfordern können.

Kommunikation und Feedback

Kontaktperson benennen: Eine geschulte Ansprechperson für Fragen zur Barrierefreiheit bereitstellen.

Feedback-Formular einbauen: Bewerberinnen aktiv nach Hindernissen und Verbesserungsvorschlägen fragen.

Regelmäßige Überprüfung: Mindestens jährlich die Barrierefreiheit der Seite durch externe Expert:innen testen lassen.

Employer Branding

Authentische Geschichten: Wenn vorhanden, Erfahrungsberichte von Mitarbeitenden mit Behinderungen einbinden.

Inklusive Visuals: Bilder und Videos mit divers aufgestellten Teams verwenden.

Barrierefreie Jobbeschreibungen: Klare und prägnante Anforderungen angeben, keine unnötig hohen Schwellen setzen.

Praktische Tools für die Umsetzung

  • Wave Accessibility Tool: Überprüft Ihre Seite auf Barrieren wie fehlende Alt-Texte oder unzureichende Kontraste.
  • axe DevTools: Ein Plugin zur automatisierten Überprüfung von Barrierefreiheitsstandards direkt im Browser.
  • Adobe Acrobat Pro: Unterstützt bei der Erstellung barrierefreier PDFs.
  • Silktide Accessibility: Ein Tool, das Barrierefreiheitsberichte für Ihre Webseite erstellt.
  • Siteimprove: Überwacht die Barrierefreiheit kontinuierlich und liefert Optimierungsvorschläge.
  • myAbility.org: Eine Plattform, die Unternehmen bei der Entwicklung inklusiver Prozesse und Karriereseiten begleitet.
  • NVDA oder JAWS: Testen Sie Ihre Seite mit Screenreadern, um sicherzustellen, dass Inhalte korrekt vorgelesen werden.

Wie Sie barrierefreies Recruiting praktisch umsetzen

Kommen wir zum finalen Akt: Barrierefreies Recruiting. Hier einige kompakte, praxisnahe Schritte mit einem einleitenden Satz zur Bedeutung jedes Schrittes:

Stellenausschreibungen inklusiv gestalten

Für Stellenausschreibungen gelten die gleichen Regeln wie für Karriereseiten. Sie sind häufig der erste Kontaktpunkt mit Ihrem Unternehmen. Einladende und barrierefreie Anzeigen signalisieren Offenheit und Professionalität.

  • Klare und einfache Sprache: Vermeiden Sie Fachjargon und formulieren Sie verständlich.
  • Inklusive Ansprache: Weisen Sie ausdrücklich auf Anpassungsmöglichkeiten hin, z. B. „Wir freuen uns über Bewerbungen von Menschen mit Behinderungen“.
  • Barrierefreie Darstellung: Alt-Texte, hoher Kontrast und mobile Optimierung sorgen für Zugänglichkeit.

Digitale Bewerbungstools optimieren

Einige barrierefreie Tools haben wir Ihnen bereits vorgestellt. Diese Tools machen den Bewerbungsprozess für alle zugänglich und reduzieren technische Hürden.

  • Barrierefreie Formulare: Wenige Pflichtfelder, Screenreader-kompatibel und intuitive Navigation.
  • Unterstützung anbieten: Präzise Fehlermeldungen und Kontaktmöglichkeiten für technische Hilfe.
  • Regelmäßige Tests: Tools wie Wave Accessibility zur Identifikation von Schwachstellen nutzen.

Interviews und Assessments anpassen

Ein flexibles und anpassbares Verfahren sorgt für faire Chancen, unabhängig von individuellen Einschränkungen.

  • Flexibilität bieten: Virtuelle, hybride oder angepasste Interviewformate (z. B. Untertext).
  • Faire Tests: Zusätzliche Bearbeitungszeit oder alternative Verfahren für Assessment-Center.
  • Bewusstsein schaffen: HR-Teams für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen schulen.

Kommunikation und Feedback

Offene und klare Kommunikation zeigt Bewerber:innen, dass Sie Barrierefreiheit ernst nehmen.

  • Offene Hinweise: Bewerber:innen aktiv über barrierefreie Optionen informieren.
  • Ansprechpartner:innen bereitstellen: Persönlicher Kontakt für Fragen und Anpassungen.
  • Feedback nutzen: Rückmeldungen von Bewerber:innen zur kontinuierlichen Optimierung einholen.

Fazit: Barrierefreie Bewerbungsprozesse – Jetzt.

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) läuft in schnellen Schritten auf uns zu. Auch wenn es nicht für alle gilt. Doch was auch klar ist: Wir bewegen uns genauso schnell auf zunehmend inklusive Wirtschaft zu. Und muss uns erst Accenture sagen, dass inklusive und barrierefreie Unternehmen wesentlich produktiver und profitabler sind? Die Frage ist also nicht „Können wir uns Inklusion leisten?“, sondern: „Können wir es uns leisten, sie zu ignorieren?“ Fangen Sie jetzt an. Für unsere Gesellschaft. Und Ihr Unternehmen. Denn genau jetzt ist dieser Pool von neuen Talenten quasi "unberührt" und die Wahrscheinlichkeit am höchsten, die herausragendsten Talente abzuschöpfen.

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