In einer Zeit des Umbruchs und der Transformation stellt der deutsche Arbeitsmarkt Unternehmen vor neue und komplexe Herausforderungen. Der Übergang zu einem Arbeitnehmermarkt, geprägt durch den Fachkräftemangel und demografischen Wandel, erfordert ein Umdenken in den Managementstrategien. Dieser Artikel beleuchtet die aktuellen Trends und Herausforderungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt und betrachtet die Bedeutung eines Mindshifts im Management, um sich in diesem dynamischen Umfeld zu behaupten. Wir tauchen ein in eine tiefere Betrachtung der Faktoren, die den heutigen Arbeitsmarkt beeinflussen, und erörtern, wie moderne Unternehmensführung und Personalstrategien darauf reagieren müssen.
Die aktuelle Lage zum deutschen Arbeitnehmermarkt
Der deutsche Arbeitsmarkt befindet sich schon seit längerem im Umbruch. Wir befinden uns in der Transformation zu einem Arbeitnehmermarkt, wobei Unternehmen um Fachkräfte konkurrieren müssen – landläufig Fachkräftemangel genannt. Zusätzlich erwartet uns ein herausfordernder demografischer Wandel, wenn die Baby-Boomer in Rente gehen: Bis 2040 werden etwa 8,7 Millionen Arbeitskräfte mehr den Arbeitsmarkt verlassen als eintreten. Damit folgt Deutschland dem Trend Japans mit einer alternden Bevölkerung. Und wenn das nicht schon genug ist, erfordern neue Stellen höhere Qualifikationen, was kontinuierliche Weiterbildung erforderlich macht. Das ist alles andere als rosig. Wie wir dennoch diese Situation meistern können, darüber sprach Detlef Scheele, ehemaliger Chef der Bundesagentur für Arbeit, mit dem Magazin WirtschaftsWoche:
“Um den Fachkräftebedarf langfristig decken zu können, müssen wir an mehreren Stellschrauben drehen. [...] Zunächst müssen wir das vorhandene Potenzial im Land voll ausschöpfen. Dazu gilt es, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen, sodass Frauen ihre Arbeitszeit ausbauen können, Jugendliche nach dem Schulabschluss erfolgreich in eine Ausbildung starten und auch Ältere – soweit gesundheitlich möglich – bis zum Renteneintrittsalter arbeiten können und Inklusion noch stärker gelebt wird.
Doch selbst wenn wir im Inland alle Arbeitskräfte nutzen, wird das nicht ausreichen, um die Fachkräftelücke zu schließen. Zuwanderung ist deshalb wichtig, um weitere Fachkräfte zu gewinnen und so auch den Folgen des demografischen Wandels zu begegnen.”
In unserem Falle bedeutet es also 450.000 Zuwander:innen – und zwar jedes Jahr. Unsere derzeitige Arbeitsagentur-Chefin Andrea Nahles spricht aktuell von 400.000.
Insgesamt zeigen die jüngsten Daten vom deutschen Arbeitsmarkt, dass es noch ein weiter Weg ist. Ein Wandel in den Köpfen der Managementebene könnte jedoch ein Zeichen dafür sein, dass die Arbeitgebenden allmählich die Notwendigkeit erkennen, sich an den veränderten Arbeitsmarkt anzupassen und ihren Angestellten sicherere und stabilere Beschäftigungsmöglichkeiten bieten. Die Frage ist deswegen …
Ist der Mindshift im Management angekommen?
Prinzipiell vollzieht sich auf dem deutschen Arbeitsmarkt ein grundlegender Wandel in der Art und Weise, wie das Management auf seine Angestellten zugeht. Denn die Zahlen sprechen für sich (siehe unten, Abb. 1). Aktuell (Oktober 2023) ist die Gesamtzahl auf 748.665 gesunken vom absoluten Höchststand im August 2022 mit 886.724 offenen Arbeitsstellen.
In der IT fehlen laut der Bitkom (Stand Nov. 2022, siehe Abb. 2) ganze 137.000 Stellen. Und eine unbesetzte Stelle ist teuer und kostet bis zu 73.000 Euro, wie unsere Kolleg:innen von alphacoders bereits festgestellt haben. Diese Zahlen versteht jeder, besonders das Management.
Ein neuer Managementansatz ermutigt das Top-Management, sich auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Beschäftigten zu konzentrieren und nicht nur auf das Endergebnis. Das bedeutet, dass Führungskräfte nun die persönliche und berufliche Entwicklung ihrer Mitarbeiter:innen sowie deren allgemeines Wohlbefinden berücksichtigen. Hier geht es also um positive Employee Experience und Employee Wellbeing. Dieses Umdenken hat zu einer besseren Zusammenarbeit zwischen Führungskräften und Mitarbeiter:innen geführt, was wiederum eine bessere Kommunikation und mehr Vertrauen zur Folge hat.'
Der neue Managementansatz hat auch zu einer größeren Flexibilität am Arbeitsplatz geführt. Das C-Level ist nun offener dafür, ihren Angestellten die Möglichkeit zu geben, aus der Ferne oder nach flexiblen Zeitplänen zu arbeiten, was zu einer höheren Arbeitszufriedenheit und Produktivität geführt hat. Denn genau diese Themen stehen ganz oben auf der Wunschliste von Annehmlichkeiten: mehr Flexibilität, Remote Work und Work-Life-Balance.
Dem Fachkräftemangel folgt der Führungskräftemangel
Auch Führungskräfte werden knapp, denn diese unterliegen denselben demografischen und spezifischen Herausforderungen des heimischen Arbeitsmarktes. Hinzu kommt, dass die nachwachsenden Generationen anders denken als die Baby-Boomer oder die Generation X.
Hier steht ein verändertes Werteverständnis im Raum. Ganze 87% der deutschen Millennials weisen dankend ab bei der Frage der Führungsverantwortung. International liegt der Durchschnitt bei 78%. Die jungen Generationen legen Dinge am Herzen wie eine sinnvolle Arbeit zu verrichten, sowie die allgemein geforderte Flexibilität und Work-Life-Balance.
Weiterhin sind die Anforderungen an Führungskräfte gestiegen. In einem modernen Arbeitsumfeld reichen reine Fachkompetenz und Berufserfahrung nicht mehr aus, um Teams und Organisationen effektiv zu führen. Stattdessen wird ein stärkerer Fokus auf Soft Skills und ein adäquates Wertemanagement gelegt. Eine Metastudie des IFIZD identifizierte die drei wichtigsten Soft Skills für das Management im modernen Arbeitsplatz:
- Kommunikationsfähigkeit (57%): Die Fähigkeit, klar und effektiv zu kommunizieren, ist entscheidend für die Leitung von Teams und Organisationen.
- Veränderungsfähigkeit (39%): Diese Kompetenz umfasst die Anpassungsfähigkeit an sich schnell verändernde Arbeitsumgebungen und Technologien.
- Wertschätzung & Orientierung auf Angestellte (33%): Dies beinhaltet den Respekt und die Wertschätzung von Mitarbeiter:innen, was für eine positive Arbeitsatmosphäre und Angestelltenmotivation entscheidend ist.
Um diesen erhöhten Anforderungen gerecht zu werden, sollten Unternehmen messbare Anforderungen für Führungspositionen festlegen, Feedback-Mechanismen etablieren, Führungskräfte von alltäglichen Aufgaben entlasten und Coaching- sowie Beratungsangebote bereitstellen. Zudem ist es wichtig, eingefahrene Vorstellungen und Stereotypen zu überwinden und inspirierende Vorbilder zu schaffen. Doch stattdessen passiert unter anderem Folgendes in deutschen Führungsetagen…
Warum Führungskräfte Nachwuchstalente vergraulen
Der deutsche Arbeitsmarkt befindet sich ungebremst im digitalen Wandel und viele Unternehmen suchen nach jungen Talenten mit digitalen Fähigkeiten. Viele Führungskräfte haben jedoch Schwierigkeiten, mit dem Tempo des Wandels Schritt zu halten, was zu einer Kluft zwischen der älteren Generation von Führungskräften und der jüngeren Generation von Digital Natives führt.
Trotz des allgemeinen Fachkräftemangels und der Bemühungen der Unternehmen, diesen zu begegnen, tragen eigene Führungskräfte oft zur Verschärfung des Problems bei. Denn diese fühlen sich teilweise durch junge, qualifizierte Nachwuchskräfte bedroht und handeln egoistisch, indem sie diese absichtlich vergraulen.
Das Arbeits-abc spricht davon, dass viele Führungskräfte in deutschen Unternehmen narzisstische oder psychopathische Züge haben, was sie dazu veranlasst, nur ihr eigenes Wohl zu verfolgen und die “gefährliche Konkurrenz” zu beseitigen. Leider fehlen hier eindeutige Belege. Dennoch ist es ein urmenschlicher Wesenszug, sich selbst zu schützen, daher ist das kein abwegiger Gedanke – und die Luft an der Spitze ist bekanntlich dünn. Diese Diskrepanz führt dazu, dass sich viele junge Führungskräfte eingeschüchtert und am Arbeitsplatz nicht willkommen fühlen, was zu einem Mangel an Motivation, einer Verlangsamung einer Karriere im Management oder gegebenenfalls sogar zu einer Abkehr führt.
Im ersten Schritt müssen sich aktuelle Führungskräfte in ihrer Position sicher fühlen. Und da wir jetzt kennengelernt haben, dass neue Führungskräfte ein erweitertes “Skill Set” an Fähigkeiten mitbringen müssen (was der Gen Y und Z überwiegend fehlt), kann sich das aktuelle Management auch grundsätzlich entspannen. Tatsächlich haben wir hier eine großartige Chance, dass “die Jungen von den Alten lernen können” – und umgekehrt.
Der Schlüssel zur Überbrückung dieser Kluft liegt also weiterhin darin, dass Führungskräfte die Bedürfnisse der jüngeren Generation verstehen und ein Umfeld schaffen, das ihr Wachstum und ihre Entwicklung fördert. Dies bedeutet, dass sie ihnen die notwendigen Ressourcen und die nötige Unterstützung zur Verfügung stellen, um ihnen zum Erfolg zu verhelfen, und dass sie eine Atmosphäre des Vertrauens und des Respekts schaffen. Auf diese Weise können Führungskräfte sicherstellen, dass sich junge Talente wertgeschätzt und anerkannt fühlen und dass sie die Möglichkeit erhalten, ihr Potenzial voll auszuschöpfen.
New Leadership als transformationaler Führungsstil
Unterstützt wird dieser Gedanke auch von Heike Bruch, Professorin der Uni St. Gallen für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt auf Forschungsthemen rund um die Bereiche Leadership, Energie und Engagement. Sie beobachtet, dass traditionelle hierarchische Führungsstile durch einen transformationalen Ansatz abgelöst werden als Reaktion auf den Fachkräftemangel und die Notwendigkeit, für Fachkräfte attraktiv zu bleiben.
Im Mittelpunkt des transformationalen Führungsstils steht die Identifikation der Angestellten mit ihrer Arbeit und die Betonung des Sinns ihrer Tätigkeit. Doch obwohl viel über transformationale Führung gesprochen wird, ist sie in der Praxis noch nicht weit verbreitet. Nur 13% der Unternehmen im deutschsprachigen Raum folgen diesem Ansatz.
„Wir haben viele Unternehmen, in denen einzelne Führungskräfte transformational agieren. Aber als Führungskultur ist das nicht sehr etabliert.“
Und hier liegt die Herausforderung: Der Übergang zu einem neuen Führungsstil ist ein langwieriger und mutiger Prozess, der von der gesamten Unternehmensleitung mitgetragen werden muss. Auch charismatische Führungspersönlichkeiten können Probleme verursachen, wenn Mitarbeiter:innen sich überfordert fühlen oder das Gefühl haben, nicht mehr auf Augenhöhe zu sein. Elon Musk ist so ein Fall.
Daher sollte der Fokus auf der Erschaffung eines neuen Klimas im Unternehmen gelegt werden, anstatt auf einzelne charismatische Führungspersönlichkeiten oder “Lichtgestalten”. Dieses Klima legt den Grundstein für ein Arbeitsumfeld, das die Beschäftigten motiviert und bindet.
Employer Branding im Kontext des Arbeitnehmermarkts
Angesichts des im vorherigen Kapitel diskutierten Mindshifts im Management und der zunehmenden Fokussierung auf Angestellten-Bedürfnisse spielt natürlich Employer Branding eine entscheidende Rolle für Unternehmen im aktuellen Arbeitnehmermarkt. Employer Branding, einst als innovatives Konzept eingeführt Ende der 1990er, hat sich zu einem fundamentalen Bestandteil der Personalstrategie in einem von Arbeitnehmer:innen dominierten Markt entwickelt.
Es adressiert zwei Kernbereiche in einem Arbeitnehmermarkt:
- Externes Branding: Hier geht es darum, das Unternehmen als attraktiven Arbeitgeber zu präsentieren, um neue Mitarbeiter:innen zu gewinnen. Dies wird durch verschiedene Marketing-Maßnahmen erreicht, die sich an potenzielle Kandidat:innen richten.
- Internes Branding: Genauso wichtig wie das Anwerben neuer Mitarbeiter:innen ist das Halten bestehender Belegschaft. Employer Branding setzt hier an, um Mitarbeiterbindung zu fördern und Zufriedenheit sowie Produktivität der Mitarbeitenden zu steigern.
Praktische Umsetzung im aktuellen Kontext
- Zielgerichtete Kommunikation: Die Kommunikation der Unternehmenswerte und der Kultur sollte sowohl nach außen als auch nach innen erfolgen. Dabei ist es wichtig, Authentizität und Konsistenz zu wahren, um eine glaubwürdige und ansprechende Unternehmensmarke zu schaffen.
- Angestellte als Botschafter: Die Einbindung der aktuellen Mitarbeitenden in die Employer-Branding-Strategie ist unerlässlich. Sie sind die besten Botschafter der Marke und tragen maßgeblich zur Glaubwürdigkeit und Authentizität bei.
Erinnerung an die Langzeitwirkung
Trotz seiner bekannten Präsenz darf die Bedeutung des Employer Brandings nicht unterschätzt werden. Es ist ein langfristiges Engagement, das kontinuierliche Pflege und Anpassung erfordert, um im dynamischen Arbeitsmarkt relevant zu bleiben. In Zeiten des Fach- und Führungskräftemangels wird deutlich, wie wertvoll eine gut etablierte Arbeitgebermarke sein kann – sowohl für die Anziehung neuer Talente als auch für die Motivation und Bindung der bestehenden Belegschaft. Weiterhin können sich Organisationen in einem dynamischen und wettbewerbsintensiven Umfeld erfolgreich positionieren.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der deutsche Arbeitsmarkt einen Bewusstseinswandel im Management benötigt, um den akuten Mangel an Fach- und Führungskräften zu lindern. Ein neuer Führungsstil, der sich auf Zusammenarbeit, Vertrauen und Respekt konzentriert, trägt dazu bei, ein attraktiveres Arbeitsumfeld zu schaffen. Moderne Managementstile ziehen junge Talente an und binden diese an Unternehmen. Employer Branding ist ebenfalls aktueller denn je, da es dazu beitragen kann, ein positives Image des Unternehmens und seiner Kultur zu schaffen. Mit diesen Maßnahmen können Unternehmen sicherstellen, dass sie auf dem Markt wettbewerbsfähig bleiben und ihren langfristigen Erfolg sichern. Und wir sind jetzt auch an einem Punkt angekommen, wo diese Dinge nicht mehr “nice-to-have” sind, sondern in jeder Unternehmensstrategie verankert werden müssen.